Es gibt menschliche Eigenschaften, die ich nur sehr schwer ertrage. Eine dieser Eigenschaften ist der unbedingte Drang eines Menschen, einen anderen Menschen zu denunzieren, zu verpetzen, zu verraten. Privat kann ich solchen Personen meistens zumindest bis zu einem gewissen Grad ausweichen, beruflich habe ich praktisch täglich mit ihnen zu tun.
Wenn ich morgens meine E-Mails durchackere (wie
hier schon erwähnt, wird mein Support meistens via E-Mail abgewickelt) sind ca. 40-50% davon E-Mails, in denen ein Communitymember ein anderes Communitymember bei mir anschwärzt, in letzter Zeit mit Tendenz nach oben. Privat könnte ich so was ganz einfach ignorieren, aber im Job ist das nicht so einfach, da ich eine gewisse Verantwortung meiner Firma und der gesamten Community gegenüber habe.
Meistens erkenne ich sehr bald, das es sich um ein Anschwärzer-Mail handelt, manchmal schon beim Absender, ab und zu beim Betreff und sehr oft an den ersten Zeilen (z.B. "Schau dir das an!", "Falls dir langweilig sein sollte, habe ich da etwas für dich", "Muss das wirklich sein?", "Ich muss dir unbedingt etwas schicken" etc.). Trotzdem mir innerlich schon das kalte Kotzen kommt, ich meine Augen verdrehe und einmal tief aus- und einatme, arbeite ich mich durch das Mail durch, welches meist noch mit einer mehr oder minder aussagekräftigen Hardcopy eines Beitrags des bösen Communitymembers gekrönt ist. Unnötig zu erwähnen, dass in sehr vielen Fällen so gut wie gar nichts Schlimmes auf dieser Hardcopy zu sehen ist.
Sehr oft frage ich mich, was diese Personen dazu bringt andere Personen zu verpfeifen, wie sie ticken, wer sie eigentlich sind. Bei manchen kenne ich ein wenig den Hintergrund, aber es gibt eigentlich keinen typischen "Denunzianten". Die Palette ist breit gefächert, von jung bis alt, von ärmlich bis wohlhabend, von weniger gebildet bis überdurchschnittlich intelligent kommt alles vor.
Auch die Art und Weise der E-Mails ist sehr unterschiedlich. Es gibt Personen, die sehr bestimmt und direkt sind, die mir mehr oder minder "befehlen", was ich zu tun habe, andere erzählen erst mal 3000 Zeichen lang um was es geht um dann zu fragen, ob ich nicht dieses und jenes gegen das böse Communitymember machen könnte, dann gibt es noch diejenigen, die mit der "Du bist ja ein guter Freund von mir, bitte mach mir dies und das"-Masche kommen und natürlich meine Lieblinge, die hysterisch-panischen E-Mailtipper (vorzugsweise schildern sie mir ihre Probleme auch noch in Dialektform, die ich nur durch lautes Lesen mehr schlecht als recht entziffern kann).
Das Alter der Schreiberlinge geht von 12, 13 bis - ja eigentlich gibt es da keine Grenzen. Man sollte denken, Erwachsene, teilweise 30+, regeln ihre Probleme mit anderen Erwachsenen auf eine reife und erwachsene Weise - weit, weit gefehlt. Gerade die Erwachsenen verbeißen sich sehr oft in Kleinigkeiten und versuchen private Streitigkeiten über eine "höhere Macht" in der Community zu lösen, sehr oft indem sie, in vollkommener Blockwartmentalität, nur darauf warten, bis ihr "Gegner" einen winzig kleinen Fehler macht und das dann sofort, natürlich garniert mit einer großen Portion Stolz ("ICH habe ihn bei blablabla erwischt!!"), melden. Allgemein kann ich sagen, das jüngere User in solchen Sachen leichter zu handhaben sind als ältere. Das liegt vielleicht daran, daß sich jüngere Menschen eher etwas einsehen und erklären lassen.
Die Frage, wie man mit diesen Menschen umgeht, bleibt offen. Komplett ignorieren kann ich sie meistens (aus oben erwähnten Gründen) nicht. Würde ich aber jedes E-Mail ernst nehmen und handeln hat das zur Folge, dass die Person sich bestätigt fühlt und weitermacht, sprich nur mehr zum Kontrollieren in die Community kommt. Genau so was möchte ich aber vermeiden, kein Communitymember sollte sich beobachtet vorkommen, kein Communitymember soll für uns als "Informant" dienen, wir sind ja schließlich nicht bei "Miami Vice".
Für mich persönlich habe ich es so gelöst: Nur wirklich schwerwiegende Fälle werden sanktioniert, alles andere muss sich einfach von selber lösen - anderenfalls würde ich mir kleine Spione heranzüchten und mein sowieso schon nicht endend wollender Arbeitstag würde noch ein paar Stunden länger werden. Im Bedarfsfall werden sie nett, aber trotzdem nachdrücklich darauf hingewiesen, daß unsere Community dem geselligen und freundlichen Miteinander dienen soll, nicht dem "Einer gegen alle" und dem Denunziantentum. Ab und zu ist es sogar schon passiert, daß das verstanden wurde - meistens aber nicht. Und so öffne ich weiterhin morgens meine Mailbox mit der Gewissheit, daß ich auch heute wieder bei ca. der Hälfte der E-Mails meine Augen verdrehe und tief aus- und einatme...